Man könnte fast ein bisschen Mitleid mit den Entwicklern haben. Da arbeitet Volition jahrelang an seinem Reboot zu Saints Row - und dann rutscht der Trailer zum Spiel in die Downvoting-Hölle von YouTube. 44.000 Daumen runter hat das Video inzwischen kassiert, also doppelt so viele negative wie positive Rückmeldungen der knapp 800.000 Zuschauer.
Gut, könnte man sagen, das ist eben die Gefahr, wenn man Spiele mit einem CGI-Trailer ankündigt und die Leute nach Gameplay lechzen. Doch auch das kurz nach der gamescom-Premiere veröffentlichte Entwicklervideo mit ersten Spielszenen kam nicht viel besser weg: 17.000 »Gefällt mir nicht«-Klicks gegen 11.000 positive Reaktionen, bei 400.000 Views.
Die Gründe für das desaströse Echo auf die Ankündigung müssen also tiefer liegen. Ich habe drei wichtige Punkte ausgemacht, in denen Saints Row die Erwartungen der Spieler enttäuscht oder falsch einschätzt. Und mindestens einen davon hätte Volition leicht vermeiden können, indem das Studio vorherige Reboots genauer analyisiert hätte. Denn die Konkurrenz ging bei früheren Serien-Neustarts um einiges cleverer zu Werke.
Grundlegende Fragen zu Reboot klären wir übrigens im großen Übersichtsartikel:
Der Autor
Peter Bathge hat grundsätzlich nichts gegen Reboots. Tomb Raider fand er 2013 ausgesprochen gut, die Doom-Neuauflage von 2016 vergöttert er bis heute (und findet den Nachfolger Eternal ganz schrecklich). Rund 15 Jahre testet Peter jetzt schon Spiele und schreibt darüber. Open Worlds hat er dabei so einige besucht. Saints Row war ihm aber immer schon zu abgedreht, er mochte GTA stets lieber. Mehr von Peters Analysen und Kolumnen findet ihr bei GameStar Plus.
Punkt 1: Saints Row steckt in der Zwickmühle
Was einst als überzeichnete Gangster-Fantasie begann und sich dadurch auszeichnete, dass die Entwickler kein Blatt vor den Mund nahmen und für einen Witz über die Grenzen des guten Geschmacks hinausgingen, hat mit Saints Row: The Third und Saints Row 4 eine Stufe des Irrwitzes erreicht, die jeder Beschreibung spottet. Ich versuche mich aber natürlich trotzdem mal dran:
Im letzten Serienteil habt ihr eine Alien-Invasion abgewehrt, indem ihr in einer Virtual-Reality-Welt Superkräfte eingesetzt habt. Schließlich kam dann auch noch eine Zeitmaschine zum Einsatz und im Ableger Gat out of Hell habt ihr euch mit Lucifer persönlich angelegt. Volition stand vor einem nachvollziehbaren Dilemma: Wie soll man das noch toppen?
Insofern ergibt es Sinn, keinen Nachfolger zu produzieren, der an die wahnwitzige Story anknüpft, sondern mit einem Reboot eine neue Geschichte zu erzählen. Charaktere wie Johnny Gat waren faktisch auserzählt, eine weitere Eskalation der Umstände unmöglich. Die Aufstiegs-Story der Saints hatte sich zum »Rette das Universum«-Plot entwickelt. Es dürfte jedem Autor schwerfallen, von diesem Ausgangspunkt aus sinnvoll weiter zu schreiben.
Aber durch die Rückkehr zu einer geerdeten Gangster-Story steht Saints Row auch vor einem großen Problem: Es wirkt gewöhnlich. Die Ankündigung des Reboots erregt wenig Aufsehen, weil sie mental zu leicht unter »nur ein weiteres Open World Spiel« verbucht werden kann. Die Faszination von Open World Spielen ist weit bekannt, aber inwieweit liefert Saints Row hier mehr als das, was wir aus unzähligen anderen Genre-Vertretern kennen?
Die Identität der Serie war stets mit dem Absurden, dem Zum-Himmel-schreinden verknüpft. Wir haben Saints Row gespielt, weil es so irre war, so kreativ und politisch unkorrekt. Beim Reboot hat Volition diesen Aspekt bisher nur unzureichend vermittelt. Dabei haben doch andere Entwickler gezeigt, wie es besser geht:
Ein Tomb Raider konzentrierte sich 2016 auf die Darstellung einer jungen, naiven Lara, was auch für Spiele der Vorgänger eine spannende Frage in den Raum warf: Wie entwickelt sich dieses Mädchen zu der toughen Abenteurerin aus späteren Serienteilen? Resident Evil 4 und 7 brachten jeweils einen krassen Perspektivwechsel mit sich, der die Horror-Serie auf den Kopf stellte. Ähnliches lässt sich zu Fallout 3 sagen. God of War für die PS4 entwickelte die bekannte Serienformel in eine ganz neue Richtung und war genau deshalb so fantastisch, weil es nicht einfach mehr vom Gleichen war.
Saints Row hat jedoch dem ersten Anschein nach keine ähnliche Revolution im Gepäck - aber alle Nachteile eines Reboot-Kaltstarts. Und die betreffen besonders Fans der Vorgänger.
Punkt 2: Zu wenige Ansatzpunkte für Fans
Wer genau hinschaut, entdeckt im Trailer von Saints Row die ein oder andere bekannte Werbetafel, das Saints-Purpur, die fleur-de-lis - aber das war es dann auch schon mit den vertrauten Bildern. Und wenn ein Reboot zu viel an einer beliebten Spieleserie ändert, dann kommt automatisch die Frage auf, warum es dann nicht gleich einen anderen Namen trägt.
Saints Row ist sehenden Auges in diese potenzielle Straßensperre reingerauscht und der Ärger vieler Fans über den Crash ist aus dieser Perspektive nur allzu verständlich. Heutzutage erwachsene Spieler sind mit der Saints-Row-Serie aufgewachsen, sie haben sie in ihren Jugendjahren gespielt und über Volitions pubertären Pippi-Humor gelacht. Genau diese mittlerweile erwachsenen Spieler dürften es jetzt in der Mehrheit sein, aus deren Mündern angesichts der Präsentation des Reboots ein gequältes »Was habt ihr aus meinem Saints Row gemacht?« entfährt.
Dabei wäre es so einfach gewesen, die von Volition selbst als Schock bezeichnete Reaktion abzumildern. Ein kurzer Auftritt eines bekannten Charakters, Anspielungen auf vertraute Locations - mit solchen Methoden ließe sich der Eindruck vermeiden, dass hier einfach nur der Name Saints Row auf ein beliebiges neues Spiel geklatscht wurde.
Ein Mafia 3 etwa spielt auch in einer komplett neuen Stadt mit anderen Charakteren, es musste bei seiner Vorstellung viel Kritik einstecken - aber es vergisst eben nie, woher es kommt, und baut mit Vito sogar den Helden aus Teil 2 prominent in die Handlung ein. Vor allem aber übernimmt es einen Schlüsselaspekt seiner Vorgänger, der auch bei anderen erfolgreichen Sequels und Reboots dafür verantwortlich ist, dass selbst schwerwiegende Änderungen von den Spielern positiv aufgenommen werden: die Atmosphäre.
Punkt 3: Der neue Hipster-Style
Spielen ist ein ungemein individueller Zeitvertreib. Wir alle spielen unterschiedlich und so viele Aspekte des Spielens sind Gefühlssache. Das ist auch für uns Journalisten eine Herausforderung, denn wie beschreiben wir das »Feeling« eines Spiels? Ganz wichtig dabei sind die Stimmung und der Ton, aber auch welche Bilder und Emotionen ein Spiel bei uns hervorruft.
Es mag schwer sein, den Finger darauf zu legen, was genau dieses Feeling ausmacht - aber wenn die Atmosphäre nicht stimmt, dann erkennt man das für gewöhnlich sofort. Im Fall von Saints Row hat der Teaser-Trailer einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat die »gefühlte Wahrheit« der Fans, also das was dem Konsens nach Saints Row ausmacht, wie es sich anhört und aussieht und anfühlt, mit der neuen Vision des Entwicklers ersetzt. Und das sorgt für Konflikte.
Am offensichtlichsten findet dieser Wandel Ausdruck in den Charakteren. Die neuen Helden von Saints Row werden wegen ihrem Hipster-Aussehen kritisiert, weil sie eben so gar nicht zum etablierten Stil der Saints-Row-Vergangenheit passen. Daft-Punk-Helme mit Emoji-Bildschirmen rufen Fortnite-Assoziationen hervor, auf die gerade alte Anhänger der Reihe allergisch reagieren, weil Fortnite in ihrer Vorstellung vielleicht ein »Kiddie-Game« ist, das ihre Kinder spielen, kein »richtiges« Spiel. Warum orientiert sich ihre Lieblingsserie jetzt daran?
Saints Row soll ein Spiel für eine neue Generation von Spielern werden, aber es bleibt abzuwarten, ob die sich von solchen Anbiederungsversuchen locken lassen. Bisher erwecken Charakterdesign und Dialoge den Eindruck, als würden hier erwachsene Designer erfolglos versuchen, die Sprache und den Zeitgeist einer bedeutend jüngeren Zielgruppe zu treffen.
Das Ergebnis wirkt bemüht, die kurzen Einblicke in Zwischensequenzen haben Fremdschäm-Charakter - und letzten Endes ist das noch nichtmal sonderlich innovativ, wie die online gezogenen Vergleiche mit Watch Dogs 2 belegen. How do you do, fellow kids?
Die Ausrede, dass die neuen Protagonisten so sein müssten, um ein »diverses« Bild der Gesellschaft abzubilden, lasse ich übrigens ebenso wenig gelten wie im Umkehrschluss die Behauptung, Volition verwässere die Serie durch übermäßge politische Korrektheit. Bereits im allerersten Saints Row war der große Teil der Figuren von südamerikanischer, asiatischer und afroamerikanischer Prägung. Im Gegensatz zu jetzt war das aber nie etwas, mit dem sich die Entwickler groß gebrüstet haben.
Dieses Reboot geht zu weit
Ich möchte Saints Row wirklich nicht vorverurteilen, weil Trailer im Vorfeld nie ein komplettes Bild liefern können. Aber ich kann verstehen, dass sich so viele Spieler vom neuen Ansatz des Reboots nicht abgeholt fühlen.
Mag sein, dass im Jahr 2021 das Bild des typischen Bling-Bling-Gangsters aus Saints Row 1+2 nicht mehr aktuell ist. Mag auch sein, dass die Entwickler weg wollten vom Witze-unter-der-Gürtellinie-Image der vorherigen Teile. Aber was bisher von Saints Row zu sehen war, verdient eben auch nicht wirklich den Namen Saints Row.
Ohne Gameplay-Innovationen auf der einen Seite und mit einer seltsam seelenlosen Mischung aus Setting und Figuren auf der anderen Seite ist es nur folgerichtig, dass Saints Row aktuell viel Gegenwind bekommt. Ich befürchte sogar, dass sich Saints Row zwischen alle Stühle setzen wird. Als Reboot dürfte es nur wenige neue Fans erreichen, solange es spielerisch derart altmodisch daherkommt. Und als Fortführung der Serie vergrault es zu viele treue Spieler, als dass die in Scharen zurückkehren werden.
Ich sage nicht, dass es einfach ist, den Kern einer Marke zu bewahren und gleichzeitig eine Spieleserie weiterzuentwickeln. Aber ich verweise darauf, dass dies andere Entwickler in der Vergangenheit bereits deutlich besser gemacht haben.
Auf Twitter versucht Volition, die eigene Vision zu verteidigen:
Link zum Twitter-Inhalt
Dabei verschweigen die Entwickler aber natürlich, dass es jetzt ohnehin viel zu spät für Änderungen an solch wesentlichen Bestandteilen wie dem Szenario des Spiels ist. Dialoge sind geschrieben und vertont, Zwischensequenzen ausgestaltet.
Saints Row wird am 25. Februar 2022 erscheinen. Und wenn Volition nicht noch ein verstecktes Ass im Ärmel hat, wird auch der Launch-Trailer wieder eifrig Daumen-runter-Emojis sammeln. Vielleicht kann ich die dann ja im Spiel wenigstens auf meinen LED-Helm projizieren.
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