Ich gestehe, manchmal bin ich so flexibel wie ein Vogone. Ihr wisst schon, diese Erzbürokraten aus »Per Anhalter durch die Galaxis«, die erst Formulare in siebenfacher Ausfertigung ausfüllen und beglaubigen, stempeln und (nach normgerechter Lochung) abheften müssen, bevor sie einander »Guten Morgen« wünschen (wobei es bis dahin schon wieder Abend ist, und zwar vier Wochen später).
Seitdem ich mal beiläufig erwähnt habe, dass ich Weltraum-Strategiespiele wie Stellaris und Master of Orion 2 mag, habt auch ihr in mehrfacher Ausfertigung Formulare ausgefüllt - nämlich das Kommentar- und Nachrichtenformular auf GameStar.de -, um mich auf Distant Worlds: Universe hinzuweisen. Hey, Micha, probier das doch mal aus! Es gefällt dir bestimmt!
Seit Jahren geht das so. Doch ich vogonisierte vor mich hin und sah mich zu keiner Aktion veranlasst. Einerseits, weil eure Kommentare nicht ordnungsgemäß gestempelt und beglaubigt waren (ihr müsst euch dafür nicht entschuldigen, sowas passiert uns allen mal), andererseits hatte ich ja Stellaris.
Bis Slitherine im Januar Distant Worlds 2 ankündigte und mir eure unbeglaubigten und ungestempelten Kommentare wieder einfielen. Distant Worlds, damit muss ich mich jetzt endlich mal beschäftigen!
Also füllte ich die entsprechenden Formulare aus, damit Heiko mir erlaubt, es zu spielen, und hier sind wir nun endlich: Seit einer Woche spiele ich nichts anderes mehr als Distant Words: Universe, es hat mich sogar von Stellaris weggelockt. Von Stellaris!
Wobei »spielen« schon das falsche Wort ist.
Denn die Stärke von Distant Worlds besteht darin, dass es sich selbst spielt, bis ich die Schnauze voll habe.
Der Autor
Michael Graf hat sich 1996 unsterblich verliebt. In Master of Orion 2 natürlich, das Eichmaß der interstellaren Globalstrategie. 20 Jahre lang mussten sich für Micha alle anderen Weltraumreich-Simulatoren an diesem Klassiker messen, und 20 Jahre lang scheiterten sie daran. Bis 2016 Stellaris erschien und eine neue Liebe erblühte. Von Anfang an faszinierte Micha am Genre etwas, das nun auch Distant World zugutekommt: Aus pixeligen Schiffchen und Planeten formen sich vor seinem inneren Auge lebendige Universen voller Geschichten.
Das Spiel der 1.000 Hürden
Ja, Distant Worlds: Universe spielt sich von alleine. Das wäre normalerweise ein Todesurteil für ein Spiel, weil es mich zum Zuschauen verdammt, und Zuschauen macht nur Spaß bei etwas, auf das ich selbst keine Lust habe (zum Beispiel schaue ich gerne Kollegen dabei zu, wie sie arbeiten). Aber ich habe ja Lust darauf, ein interstellares Imperium zu regieren! Warum sollte ich mir anschauen wollen, wie der Computer das für mich macht?
Weil Distant Worlds anfangs absolut undurchschaubar ist, um nicht zu sagen: abschreckend. Nicht mal wegen der Grafik, die - selbst mit Graphics Enhancement Mod - aussieht wie von 1993, wohlgemerkt in einem Spiel, das 2010 erschienen ist. Aber Grafik, auch das wissen wir alle, ist nicht entscheidend. Dwarf Fortress destilliert die besten Geschichten des Strategiegenres aus simplen ASCII-Zeichen, da werde ich Distant Worlds doch nicht seinen, ähem, Retro-Look vorwerfen.
Viel schwerer wiegt das abgründige Menüdesign, das schon damit anfängt, dass ich auf meinem 4K-Monitor mit der Nase am Bildschirm kleben muss, weil Distant Worlds zwar die Desktop-Auflösung übernimmt, die Menüs in 4K aber nicht ausreichend skaliert, um darin als leicht kurzsichtiger Mensch irgendwas entziffern zu können. Okay, stelle ich meinen den Desktop eben auf 1920x1080 um.
Das macht die Menüs lesbar, aber nicht überall. Alleine die Farbgebung! Versucht ihr mal, zehn Pixel hohe weiße (!) Schrift vor einem hellen Milchstraßen-Bild zu entziffern. Oder rote Schrift auf grünem Grund, da bekomme ich schon beim Drandenken Kopfweh. Noch »besser«: dunkelbraune Buchstaben auf Hellbraun! Wird Distant Worlds von Guerilla-Optikern entwickelt, die aus meiner Verweildauer in unleserlichen Bildschirmen ableiten, welche Lesehilfe ich brauche, um dann vor meiner Wohnung aus dem Gebüsch zu springen und mir die perfekte Brille ins Gesicht zu pressen?
Okay, das war jetzt übertrieben, vor meiner Wohnung gibt es gar kein Gebüsch. Und ja, mit einiger Eingewöhnung und in 1080p lassen sich die Menüs einigermaßen lesen. Das heißt aber nicht, dass ich verstehe, was drinsteht. Alleine der Bildschirm fürs Schiffsdesign überschüttet mich mit Komponenten, Werten und Statistiken, die ich absolut nicht durchblicke. Der dreigeteilte Forschungsbaum ebenso, außerdem gibt es 42 Ressourcentypen, deren Nutzen sich mir nirgendwo intuitiv erschließt. Tooltipps sind seltener als gute Remaster von Electronic Arts.
Gerade die Les- und Nachverfolgbarkeit, die für komplexe Strategiespiele elementar wichtig ist, geht Distant Worlds: Universe so weitgehend flöten. Selbst für mich als erfahrenen Weltraum-Strategen ist kaum nachvollziehbar, was hier womit zusammenhängt. Doch genau das muss ich doch verstehen, um informierte Entscheidungen treffen und Prioritäten setzen zu können! Ich durchblicke nicht, was ich hier besiedeln, worum ich Krieg führen soll. So muss sich Kanzler Palpatine an seinem ersten Arbeitstag gefühlt haben. Kein Wunder, dass der böse wurde.
Nun bietet Distant Worlds immerhin zwei Feature-Airbags, die den Aufprallschmerz etwas lindern: ein eingebautes Glossar (leider kein so genial vernetztes wie Crusader Kings 3) und mehrere Tutorials, die zwar so packend ausfallen wie eine Telekolleg-Folge über das richtige Ausfüllen der Steuererklärung, aber immerhin die Grundzüge der Spielmechanik vermitteln. So richtig motiviert mich das aber nicht. Ich will spielen, nicht die Schulbank drücken!
Und damit wären wir beim Erfolgsgeheimnis von Distant Worlds: der Automatisierung!
Alles läuft automatisch
Alles, wirklich alles in Distant Worlds ist automatisierbar: Diplomatische Verträge, Spionagemissionen, die Kriegführung inklusive Bodentruppen und Entermanövern, der Auf- und Ausbau von Kolonien, Upgrades für Schiffe und Raumstationen und so weiter. Wenn ich will, verwaltet sich mein wachsendes Reich ganz von alleine, wie bei einer KI-Fraktion.
Ich weiß, das liest sich einschläfernd. Ist es aber nicht, zumindest für mich nicht. Denn ich kann Distant Worlds einfach so einstellen, dass es mein Reich zwar automatisch lenkt, bei größeren Entscheidungen aber nachfragt wie ein unterwürfiger Ratgeber: Sollen wir den lebensfreundlichen Planeten da drüben besiedeln, mein Kaiser?
Wir würden einen Nichtangriffspaket mit den netten Robo-Dinosauriern (das Design der Außerirdischen ist recht eigenwillig) vorschlagen, ist das in Ordnung? Wir fänden es sinnvoll, die Flotte um fünf Zerstörer zu vergrößern, sollen wir? Und ich kann dann entscheiden, ob ich den Beratern folge oder ihre Vorschläge abschmettere.
Das ist Stufe 1.
Eine, zwei, drei Stunden lang funktioniert das für mich gut: Ich schaue meinem Imperium beim Wachsen zu und lerne nebenher die Spielmechanik kennen. Ich beobachte, welche Komponenten die KI in meine Fregatten, Zerstörer und Trägerschiffe schraubt, ich begleite das Wachstum meiner ersten Kolonien und beobachte die ersten Raumschlachten gegen Piraten oder die ersten Freihandelsverträge mit den Robo-Dinos vom Nachbarimperium. Mir erschließt sich keineswegs alles (ich würde behaupten, dass sich mir bis heute nicht alles erschlossen hat), aber ich kann mich langsam an den Rhythmus des Spiels gewöhnen.
Zugleich wird mein Imperium lebendiger. Automatisierte Frachter flitzen zwischen Bergbaustationen und Raumhäfen hin und her, Tanker steuern Gasraffinerien an, Passagierschiffe tragen Touristen zu lukrativen Ressortwelten (Wie wär's mit Ferien am Schwarzen Loch?). Und zwischendrin lauern ihnen immer mal wieder Piraten auf, die von Militärpatrouillen verjagt werden wollen.
Mit seinen optisch simplen Bitmap-Schiffchen simuliert Distant Worlds so etwas, das mir in Stellaris immer gefehlt hat (wofür es aber eine Mod gibt): zivilen Flugverkehr! Wer einmal in den Star-Wars-Prequels den Flugverkehr am Himmel von Coruscant gesehen hat, weiß doch, dass ein interstellares Imperium nicht nur aus Militärflotten besteht.
Doch während Weltraum-Simulationen wie X4: Foundations oder Elite: Dangerous ganz selbstverständlich computergesteuerte Frachter & Co. darstellen, fehlen sie in Strategiespielen oft komplett. Wahrscheinlich der Übersicht wegen, dicht besiedelte Imperien wimmeln in Distant Worlds: Universe vor Frachtschiffen wie Ameisenhaufen vor, nun, Ameisen.
Doch dadurch wirkt mein Reich eben auch lebendiger, es kitzelt meine Fantasie, mir diese Galaxis in »echt« vorzustellen, auch wenn sie auf meinem Bildschirm aussieht wie Buchstabensuppe, in die jemand ausgeschnittene Raumschiffbildchen geworfen hat.
Und dann kommt Stufe 2.
Ich übernehme die Kontrolle
Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Automatisierung an ihre Grenzen stößt. Etwa, wenn mir die Berater zum x-ten Mal vorschlagen, die Insektenhorde von nebenan zu bitten, ihre Handelssanktionen gegen die Robo-Dinos aufzuheben, obwohl sie das schon x-mal abgelehnt haben!
Oder wenn ein Krieg ausbricht. Eigentlich vor allem, wenn ein Krieg ausbricht.
Zwar lässt sich auch die Automatisierung der Flotten detailliert konfigurieren, etwa wie viele Schiffe die KI-Admirale in eine vollwertige Flotte packen und wieviele in kleine Kampfgruppen. Ich kann festlegen, wie verbissen meine Heimatwelt verteidigt werden soll, oder ob die Flotte ausrücken darf, um den Feind mit Nadelstich-Attacken auf unbeschützte Raumstationen zu nerven. Aber entweder durchblicke ich diese Automatisierungs-Optionen noch nicht genug, oder die KI handelt dennoch recht konfus. Wahrscheinlich trifft beides zu.
Beispielsweise attackieren meine Flotten einen Feindplaneten und vernichten die Verteidiger und setzen Bodentruppen ab (gut!), lassen die eroberte Kolonie dann aber alleine, um sich anderen Aufgaben zu widmen oder nachzutanken (ja, Treibstoff spielt eine Rolle). Und der Feind kann die unverteidigte Welt einfach zurückholen.
Der Kriegs-KI mangelt es einfach an koordiniertem und konsequentem Vorgehen. Dass der Feind und meine Flotten jederzeit überall angreifen können, weil Schiffe sich im All komplett frei bewegen (also nicht nur entlang von Sprungrouten wie in Stellaris seit Update 2.0) macht die Sache nicht übersichtlicher.
Wenn es nur jemanden gäbe, der das Militär besser korrdinieren könnte! Ach so: Ich.
Das ist Stufe 2.
Nun kann ich nämlich entscheiden, die Kriegführung selbst in die Hand zu nehmen. Ich kann offensive Flotten samt Truppentransportern bilden (manchmal haben sie keine dabei...) und defensive, die meine Kernwelten idealerweise schon verteidigen, bevor sie vom Feind erobert werden. Ich fange an, mich mit Raumschlacht-Mechaniken und Waffentypen auseinanderzusetzen. Ich fange an, über Treibstoff und den richtigen Moment zum Nachtanken nachzudenken. Ich verteile meine Flotten strategisch statt kreuz und quer im Imperium.
Das ist die Magie von Distant Worlds: Wenn ich die Dinge selbst in die Hand nehme, wenn ich mich damit wirklich beschäftige, dann erziele ich besser Ergebnisse als die KI. So kann ich schrittweise schauen, was ich als nächstes übernehme: Sind die Expansionsvorschläge meiner Berater ausreichend, oder sollte ich manuell den Bau neuer Raumstationen befehlen? Schaue ich mir die Diplomatie und die Beziehungen der Völker genauer an, um zu vermeiden, dass mich ein unbedachter Bündnisvertrag in einen verlustreichen Krieg zieht? Und wonach forschen meine KI-Wissenschaftler eigentlich?
Dazu kommen noch kleine (im Vergleich zu Stellaris aber leider ziemlich uninteressante und langweilig erzählte) Geschichten, denen ich folgen kann. Was verbirgt sich in dem System am anderen Ende der Galaxis, dessen Koordinaten wir aus uralten Ruinen geborgen haben?
Dinge, auf die ich keine Lust habe - etwa den ermüdenden Ausbau der Kolonien und das noch viel ermüdendere Modernisieren der Schiffsdesigns - kann ich dann immer noch automatisieren. Ein wahrer Imperator kümmert sich eben nur um die wichtigen Angelegenheiten, Palpatine schraubt ja auch keine neuen Turbolaser an seine Sternzerstörer.
Kann ich Distant Worlds empfehlen?
Tja, das ist die Gretchenfrage, und ich muss sie erst mal verneinen. Denn Distant Worlds: Universe ist einfach ein Monster, und ich kann nicht voraussetzen, dass ihr bereit seid, euch ins Spiel einzuarbeiten. Nicht nur in die Spielmechanik, sondern auch in die unzeitgemäße Bedienung. Alles an Distant Worlds ist bedeutend umständlicher und unübersichtlicher, als es sein müsste. Distant Worlds erklärt zu wenig, es nimmt euch zu wenig mit und legt euch keine Steine in den Weg, sondern Asteroiden. Wahrscheinlich wurde es doch nicht von Guerilla-Optikern entwickelt, sondern von Vogonen. Stellaris ist so viel zugänglicher!
Aber.
Wenn man sich erst mal reingefuchst hat, finde ich die Spielmechanik klasse. Ich will nicht behaupten, dass ich sie schon komplett verstanden habe, oder dass ich alle Möglichkeiten voll durchdringe. Aber ich habe Spaß daran, mehr zu lernen, weil Distant Worlds vieles umsetzt, was ich mir von einem Weltraum-Strategiespiel wünsche, was Stellaris aber nicht erfüllt.
Beispielsweise kann ich Piraten zu Überfällen auf meine Widersacher anstiften oder als Wachsöldner einsetzen. Ich kann Botschafter aussenden oder Geheimagenten, die unterschiedliche Missionen erfüllen. Kurzum: Ich kann viele Fantasien ausleben, die zu einer interstellaren Imperatorenkarriere gehören - und das in riesigen Galaxien mit abertausenden Planeten, Monden, Gasriesen & Co. (was allerdings auch die Performance ziemlich drückt, Krümeloptik hin oder her). Und ich kann eben jedes Detail selbst bestimmen, muss es aber nicht, sodass ich dem Spiel meine eigenen Vorlieben aufpräge.
Es wäre nur schön, all das in halbwegs ansehnlicher Grafik erleben und vor allem komfortabel bedienen zu können. Hier kommt Distant Worlds 2 ins Spiel, denn das soll im Wesentlichen die Stärken des ersten Teils erben und das Drumherum modernisieren. Wobei die Menüs der Fortsetzung im Gameplay-Stream immer noch sehr textlastig aussahen. Für ein komplexes Strategiespiel ist das keineswegs ungewöhnlich, dennoch bleibt abzuwarten, wie durchschau- und nachvollziehbar Distant Worlds 2 die Zusammenhänge letztlich darstellt.
Link zum YouTube-Inhalt
Ich jedenfalls habe mich an Distant Worlds festgebissen und werde mich auch weiter daran festbeißen, weil es mich einfach fasziniert. Und weil mir dieses nichtsnutzige Insektenpack von nebenan gerade den Krieg erklärt hat! Na wartet, nur ein toter Bug ist ein guter Bug!
Und diese Faszination habe ich euch zu verdanken! Seht ihr, es bringt doch etwas, Formulare auszufüllen. Auch wenn es manchmal länger dauert.
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