Mich nervt alles an New World, aber ich habe trotzdem Spaß

Elena fand New World vom ersten Moment an öde und konnte trotzdem nicht vom MMO lassen. Jetzt wagt sie einen Erklärungsversuch für die ungewollte Liebe.

Meine Abende sehen gerade immer gleich aus: Ich mache mir eine Tasse Himbeer-Vanille-Tee, drehe einen Crime-Podcast über Serienkiller laut auf, damit die Nachbarn wissen, dass ich auch abseits von Spielen vielseitig interessiert bin und stürze mich in New World. Während ich den Lebensgeschichten von Jeffrey Dahmer und Ted Bundy lausche, zerkleinere ich emsig Felsbrocken, hacke Holz, schnetzle mich durch Zombies oder Wölfe und mache mir einen Namen als der dümmste Laufbursche, der je einen Fuß auf die Insel Aeternum gesetzt hat.

Denn am monotonen MMO-Einheitsbrei ist nichts episch, einzigartig oder komplex. Seit Stunden folge ich stumpf den gleichen, zufällig generierten Aufgaben ohne auch nur einen Windhauch Heldenmut zu spüren und werde das Gefühl nicht los, einen ziemlich schlechten Feierabend-Deal gemacht zu haben.

Und trotzdem kann ich nicht aufhören. Nicht, weil ich ähnlich wie die Mörder oben einem Trieb einfach nicht entfliehen kann oder gar wahnsinnig bin, sondern weil New World seine Banalität in einen süchtig machenden Gameplay-Loop kleidet. Der funktioniert so gut, dass ich trotz aller Kritik viel Spaß habe.

Die Autorin: Elena (@Ellie_Libelle) hat die absurde Angewohnheit sämtliche MMOs am liebsten allein zu spielen - egal ob WoW, ESO oder jetzt New World. Eigentlich verpasst sie damit die Hälfte der Inhalte, ohne viele der Stärken, die klassische Singleplayer-Rollenspiele mitbringen. Aber Elder Scrolls Online zwingt sie zum Beispiel völlig anders zu spielen, weil der Schnellspeicher-Spam aus Skyrim nicht mehr möglich ist. Und man kann (fast) ganz Tamriel besuchen! In WoW lässt sie sich dafür einfach treiben und folgt ulkigen Geschichten um kleine Dinos, die Leute in den Hintern beißen sollen. Solche Anekdoten hätte sie im Koop einfach weggeklickt und nie mitbekommen.

Diese lästigen Probleme plagen New World

Ich muss hier nicht mehr im Detail runterbeten, was wir im Test schon ausführlich kritisiert haben. Aber für euch hole ich kurz Luft und zähle meine persönlichen Quälgeister beim Spielen in einem Rutsch auf: Öde Story und Figuren, belanglose Quests, nerviges Prügeln um Kills und Ressourcen an Hotspots, endlose Latscherei ohne Mounts und mit spärlichen Schnellreisepunkten, ein unnötig umständlicher Koop, wenn ich doch mal einsam bin und kaum echte Langzeitmotivation, sodass ich jetzt schon keinen Bock mehr habe, zu leveln.

Kurz: Wer keine Lust auf PvP und politische Rangeleien rund um die Kompanien hat - also das Social Storytelling von New World - grindet sich im PvE durch einen dicken Brei aus ziemlich viel Langeweile. Spaß kann das aber trotzdem machen. Und das liegt daran, wie das MMO eigentlich öde Bausteine anordnet und präsentiert.

Wie gut ist New World jetzt wirklich? Video starten 13:02 Wie gut ist New World jetzt wirklich?

Das macht das MMO trotzdem spielenswert

Das New World für mich funktioniert, liegt an vier großen Stärken, die die eigentlich plumpen Mechaniken ummanteln und enorm aufwerten. Dahinter verbirgt sich sehr kluges Spieldesign:

1. Wucht

Was ich in New World mache, wird von einem satten, wuchtigen Spielgefühl begleitet. Egal ob ich etwas abbaue oder im direkten Kampfsystem Gegner verkloppe. Ich weiche aus, pariere, ramme meinen Speer in den Bauch eines untoten Piraten oder werfe ihn dank einer Fähigkeit auf ein heranstürmendes Wildschwein. Wenn meine Axt sich in Baumrinde gräbt oder meine Spitzhacke auf einen Felsen klirrt, wird das von klaren, intensiven Geräuschen begleitet. Als New World noch ein reines PvP-MMO war, hätte mich das wahrscheinlich an andere Spieler verraten. Jetzt erzeugt es nur eine dichte Atmosphäre, durch die ich alles bedeutsamer erlebe.

Das direkte und sehr dynamische Kampfsystem ist ungewöhnlich für ein MMO und spielt sich obendrein trotz Online-Welt sehr präzise. Das direkte und sehr dynamische Kampfsystem ist ungewöhnlich für ein MMO und spielt sich obendrein trotz Online-Welt sehr präzise.

2. Spirale aus Belohnung und Fortschritt

Bei meinen Abenden erreiche ich eigentlich nicht viel in New World. Selbst der entschlossene Quest-Grind lässt meinen Levelbalken quälend langsam nach vorne klettern, für Crafting-Fortschritte oder getötete Monster müsste ich schon meine Brille aufsetzen. Aber es fühlt sich dennoch so an, als würde ich ständig Erfolge feiern.

Zum einen füllen sich dauernd irgendwo Leisten: Der Einfluss bei meiner Fraktion steigt, die Siedlung wächst und gedeiht, pflücke ich Kartoffeln, prahlt ein Zahlenwert mit meiner gesteigerten Erntefähigkeit, genauso beim Crafting oder den Waffen. Benutze ich etwas, werde ich wie bei Skyrim schnell besser und mit Punkten, Boni oder neuen Rezepten belohnt.

»Belohnt« ist generell ein gutes Stichwort. New World streichelt immer zu meine geplagte Abenteurerseele mit süßen Geschenken. Es wirft mir wertvolle Ressourcen hinterher, Waffen, Rüstungen, Tokens mit denen ich mir selbst schicke Items holen kann und haufenweise Skillpunkte, die ich in Charakter und Waffenarsenal investiere. Das bringt mir dann die nächste herrlich direkte Fähigkeit oder coole Waffe ein, die ich sofort ausprobieren will. Also erledige ich noch eine Quest und noch eine und bleibe weiter schön im Loop.

Das Craften und Sammeln bringt neben Kämpfen und Erkunden viel Abwechslung rein. Das Craften und Sammeln bringt neben Kämpfen und Erkunden viel Abwechslung rein.

3. Abwechslung

Das klingt paradox, weil New World sehr monotone Mechaniken und Aufgaben mitbringt. Ich mache faktisch immer das Gleiche. Aber die Aufgaben verteilen sich in der Open World so geschickt, dass ich stets hin- und herspringe, bevor sich Langeweile einstellen kann.

Auf dem Weg zu einer generischen »Töte x untote Seemänner«-Mission, entdecke ich zum Beispiel ein paar Hanfpflanzen, die ich schnell abernte. Dann gehe ich eine Runde angeln, jage noch ein paar Kaninchen, weil ich sie für eine andere Quest brauche, crafte am Lagerfeuer Rationen nach, schließe ein Portal der einfallenden Verderbten oder genieße einen Augenblick lang die für ein MMO überraschend hübsche, atmosphärisch beleuchtete und organisch wirkende Umgebung. Diese malerische Fassade bröckelt zwar, sobald man nach einer wirklich logischen, bewohnten und funktionierenden Welt Ausschau hält, für den Moment reicht es aber.

Dieses vom Weg abkommen kenne und liebe ich schon aus anderen Open-World-Spielen. Auch wenn mich in New World hier niemals große Geschichten oder durchdachte Details erwarten werden, lass ich mich doch trotzdem gern und häufig ablenken.

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4. Meditative Entspannung

Simpel heißt nicht gleich schlecht. Wenn ich abends völlig erledigt von der Arbeit heimkomme (oder im Home Office sogar am gleichen PC sitzen bleibe), habe ich nicht immer genug Energie für ausufernde Rollenspiele oder taktische Shooter übrig. Ich will den Alltagsstress loslassen und entspannen. Deshalb zocke ich meist ein paar Runden Loop Hero, tauche in Subnautica nach bunten Fischen und Tiefsee-Geheimnissen oder bestelle in Stardew Valley gemütlich meine Felder.

Für mich hat New World mit diesen Spielen viel mehr gemeinsam als mit anderen MMOs, bei denen ich die Story durchspielen oder Dungeons meistern will. Es ist für mich die spielgewordene Nebenaufgabe, die Podcasts, YouTube-Videos, Hörbücher oder Netflix-Beschallung untermalt und mir etwas zu tun gibt, ohne dass ich mich wirklich konzentrieren muss. Ich kann meine Gedanken im meditativen Aufgabenfluss treiben lassen und den Kopf freikriegen.

Deshalb ist New World für mich trotz allem ein perfektes Feierabendspiel, das ich vielleicht nicht bis ins Endgame zocken werde, aber gerade dennoch wirklich genieße.

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