20. Dragon Age: Origins
Entwickler: Bioware
Publisher: Electronic Arts
Erschienen: November 2009
Fabiano Uslenghi: Dragon Age: Origins hat das Rollenspiel-Genre für mich ein Stück weit ruiniert. Gut, das klingt jetzt erst einmal schlimmer als gedacht. Ich meine damit auch nicht, dass ich seit dem keine Rollenspiele mehr mag. Dieser Tag wird hoffentlich niemals kommen. Aber das erste Dragon Age hat etwas gemacht, was ich mir seitdem für jedes andere Rollenspiel wünsche, aber danach niemals wieder aufgegriffen wurde. Nicht einmal von Bioware selbst!
Origins hat in meinen Augen das einzig Richtige gemacht, wenn man sich überlegt, was ein Rollenspiel eigentlich ist. Hier begnügten sich die Entwickler nicht damit, mir einen Charaktereditor vor die Nase zu setzen und mich dann eine wage Vorgeschichte auswählen zu lassen. Oder, der Erbauer behüte, mich wieder zu einem ominösen Fremden mit massiver Gedächtnislücke zu machen.
Nein. In Dragon Age: Origins bestimmt der Hintergrund meines Charakter, welchen Prolog ich spiele, und führt mich so wunderbar in seine Welt ein. Dieses einfache, aber effektvolle Mittel fehlt mir seither in jedem anderen Rollenspiel. Eine neue Runde mit einem neuen Helden sollte nicht erst nach fünf Stunden Abwechslung bieten.
Das ist doch die Essenz eines Rollenspiels! Mit Haut und Haaren jemand anderes sein. Jemand, der nicht erst mit dem Beginn der Geschichte von seinem Umfeld wahrgenommen wird, sondern einen Ursprung hat, der ihn in der mir fremden Spielwelt verankert. Und diesen Ursprung dann nicht nur in Dialogen anzureißen, sondern erlebbar zu machen.
Dabei hören die Stärken von Dragon Age mit den namensgebenden Origin-Geschichten aber nicht auf. Bioware ist es 2009 gelungen, unabhängig von Baldurs Gate oder KotOR eine ganz neue und eigenständige Welt aus dem Boden zu stampfen. Ferelden war düster und brutal, aber auch gefüllt mit komplexen und spannenden Persönlichkeiten.
Ich musste während meiner Zeit als Grauer Wächter mehr als einmal den Kopf auf die Faust stützen und in Denkerpose meine nächste Entscheidung abwägen. Denn nicht immer waren die Dinge so schwarz oder weiß wie in anderen Rollenspielen. Und das, obwohl Dragon Age eine Geschichte rund um Dämonen und dunkle Brut zu erzählen hatte. Einfach großartig.
Trivia:
- Der Name des Kontinents Thedas war eigentlich während der Entwicklung nur ein Platzhalter für die noch namenlose Spielwelt: The DAS (Das Dragon Age Setting).
- Ursprünglich waren 12 verschiedene Origin-Geschichten geplant, darunter eine für Barbaren und eine nach dem Vorbild von Luke Skywalker.
19. Diablo 2
Entwickler: Blizzard North
Publisher: Blizzard
Erschienen: Juni 2000
Markus Schwerdtel: Es ist der 10. April 2000, mein erster Arbeitstag bei GameStar. In der Redaktionskonferenz erwarte ich bestenfalls zum Kaffeekochen eingeteilt zu werden, da sagt der Kollege Christian Schmidt: »... und Markus kann mir mit Diablo 2 helfen.«
Was, die lassen mich Jungspund an das mächtige, ja heilige Diablo 2? Was ich da noch nicht wusste: Christian brauchte mich lediglich als Klickvieh für die Beta, ich sollte alle Barbaren-Skills ausprobieren und die Werte aufschreiben. Also doch Kaffeekochen, irgendwie.
Obwohl uns die Optik mit ihren schon damals antiken 640x480 Pixeln Auflösung abschreckt, ist doch schon in der Beta klar: Diablo 2 ist ein mehr als würdiger Nachfolger. Auch wenn es spielerisch - so ehrlich muss man sein - kein Innovationswunder ist.
Die Action ist simpel, Tiefe kommt lediglich durch die Fertigkeiten und Ausrüstungswerte ins Geschehen. Wie so oft bei Blizzard ist es jedoch die fast perfekte Spielbarkeit, der liebevolle Feinschliff, der das Action-Rollenspiel zu etwas ganz Besonderem macht.
Ein paar Wochen später ist dann die Testversion da, ich bin - als Kenner der Beta - mit in der »Task Force Diablo«. Damit wir jede der fünf Charakterklassen mal ausprobieren, soll ich die Zauberin spielen. Ausgerechnet. Ich wollte doch den Totenbeschwörer!
Zum Beschweren (und Beschwören) ist aber keine Zeit, Kollege Gunnar und ich sollen bis zum Redaktionsschluss 13 Seiten Insider-Guide zusammenzimmern. Also wieder Akkordspielen und Werte aufschreiben. Das ist auch deshalb gar nicht so leicht, weil Blizzard bis zuletzt an Feinheiten schraubt und unsere Nachtschicht-Arbeit sozusagen immer wieder kaputt-patcht - auch als der Guide schon längst gedruckt ist.
Immerhin habe ich mir mittlerweile von meinem fürstlichen Trainee-Gehalt einen neuen PC gekauft und auf dem wird jetzt endlich Diablo 2 so gespielt, wie es sein soll: in Ruhe und mit dem Totenbeschwörer!
Erst jetzt kann das Action-Rollenspiel bei mir seine Stärken entfalten: Die einmalig düstere Atmosphäre, die grotesken Gegner (und ihre irren Namen), die motivierende Loot-Spirale und natürlich die Musik von Matt Uelmen. Ach, die Musik! Noch heute bekomme ich beim Tristram-Theme eine Gänsehaut. Und muss irgendwie an kalte Pizza und den Ex-Kollegen Gunnar denken.
Trivia:
- Ein Jahr nach Release wurde mit dem Addon Lord of Destruction beziehungsweise einem gleichzeitig erschienen Patch die Auflösung auf kolossale 800x600 Pixel erhöht. Wow!
- Das Entwicklerstudio Blizzard North wurde im Juni 2005 nach etlichen Kündigungen und Querelen endgültig geschlossen, ein bereits begonnenes Diablo 3 eingestampft.
- Diablo-Erfinder David Brevik hilft inzwischen beim von ihm gegründeten Publisher Skystone Games anderen Entwicklern bei der Veröffentlichung ihrer Spiele.
NEU
18. Bloodborne
Entwickler: From Software
Publisher: Sony
Erschienen: März 2015 (PS4)
Markus Schwerdtel: Zu langsam, zu träge, zu verworren – das sind nicht etwa meine Hirnfunktionen an einem Montagmorgen, sondern waren meiner Meinung nach die ersten Souls-Titel von From Software.
Natürlich habe ich damals versucht, mich in Demon’s Souls und Dark Souls reinzufuchsen, schließlich haben ja die Kollegen ständig davon geschwärmt. Aber so richtig warm werden wollte ich damit nie. Bis es dann bei Bloodborne endlich »Klick« gemacht hat.
Denn Bloodborne ist anders: Es ist schnell, dynamisch und dadurch auf eine ganz andere Weise herausfordernd als seine Genre-Kollegen. Langweiliges Blocken ist hier Tabu, das Kampfsystem zwingt mich in die Offensive. Allein schon deshalb, weil ich durch schnelle Gegentreffer wieder etwas Gesundheit regenerieren kann.
Dazu kommen lässige Waffen wie das Logarius-Rad oder der Sägespeer, mit denen ich den abwechslungsreichen Widersachern in der Lovecraft-ig angehauchten Stadt Yharnam zusetze.
Dabei hat Bloodborne bereits 2015 alles, was andere und auch neuere From-Spiele wie Elden Ring ausmacht: ausgefeilte Charakter-Builds, verschachtelte Levels, wunderbar beklemmende Atmosphäre und nicht zuletzt erhebende Erfolgserlebnisse, wenn man einen Boss wie Father Gascoigne oder den Märtyrer Logarius (genau, der mit dem Rad) endlich gelegt hat.
Schade nur, dass es Bloodborne exklusiv für die PlayStation 4 gibt. Im Sommer 2023 tauchten jedoch Gerüchte auf, dass eine Remaster-Version für PlayStation 5 und eben auch den PC in Arbeit sein könnte. Bis dahin wetze ich schon mal Ludwigs Heilige Klinge.
Trivia:
- Bloodborne-Erfinder und Souls-Papa Hidetaka Miyazaki ist eigentlich Soziologe und wurde durch das düster-stille Action-Adventure Ico auf der PlayStation 2 dazu inspiriert, Spieleentwickler zu werden, da war er schon 29 Jahre alt. 2004 startete er als Planer für Armored Core: Last Raven bei From Software.
- Miyazaki kam als Projektleiter zu Demon’s Souls, als From Software das Spiel eigentlich schon aufgeben wollte. Er führte das Abenteuer zum Erfolg und wurde 2014 zum Chef der Firma ernannt – gerade mal zehn Jahre nach seinem Start in der Spielebranche.
17. Planescape: Torment
Entwickler: Black Isle Studios
Publisher: Interplay
Erschienen: Januar 2000
Heiko Klinge: Jeder, der Rollenspiele liebt, hat ein paar Bildungslücken. Also Titel, von denen jeder schwärmt und man selbst rein vom Papier her eigentlich auch total super finden müsste, aber für die irgendwie nie Zeit blieb.
Meine schlimmste Bildungslücke war jahrelang Planescape: Torment und Schuld hatte die GameStar. Die gab dem ungewöhnlichen Rollenspiel seinerzeit nämlich nur eine 82 und ich hatte ohnehin noch das erste Baldur's Gate samt Addon beim Wickel. Irgendwann würde ich schon noch die Zeit finden …
Aus »irgendwann« wurde schließlich mein Jahresurlaub 2013. Und es spricht für die Brillanz eines Planescape: Torments, dass es selbst 13 über Jahre nach Veröffentlichung nichts von seiner Faszination verloren hat. Wie ein gutes Buch. Was ganz passend ist, denn in Planescape: Torment machen wir vor allem eines: lesen.
Wer bei einem Rollenspiel vor allem Wert auf ein ausgefeiltes Kampfsystem oder motivierendes Erfahrungspunkte- und Beute-Hamstern legt, sollte von Planescape: Torment vor allem eines halten: Abstand. Denn beides war schon 2000 nur mit viel gutem Willen gerade noch Durchschnitt.
Wem bei einem Rollenspiel aber in erster Linie eine tiefgehende Geschichte, eine faszinierende Spielwelt und unvergessliche Charaktere wichtig sind, der findet meiner bescheidenen Meinung nach bis heute wenig Besseres.
Statt wie in den meisten anderen Rollenspielen die Welt zu retten und dadurch mehr oder weniger unsterblich zu werden, bin ich in Planescape: Torment als namen- und erinnerungsloser Held bereits unsterblich und muss quasi die Heldenreise umgekehrt beschreiten. Was habe ich in meinen vergangenen Leben getan? Und wie erlange ich meine Sterblichkeit zurück?
Auf der Suche nach Antworten erforsche ich unvergessliche Orte wie das »Bordell zur Befriedigung intellektueller Gelüste« und lerne Gefährten wie den pausenlos plappernden Totenschädel Morte kennen, die jeweils ihre ganz eigenen Beweggründe haben, warum sie mir folgen. Freilich ohne mir zu sagen, welche das sind.
Planescape: Torment wirft aber nicht nur unzählige Fragen auf, weshalb gerade die ersten Spielstunden in diesem fremdartigen Universum viel Anstrengung und Geduld erfordern, es liefert auch Antworten. Und was für Antworten das sind!
In keinem anderen RPG habe ich so oft schockiert auf den Bildschirm gestarrt wie auf meinen Reisen durch die Ebenen. Dieses Erlebnis sollte sich kein Fan tiefgründiger Rollenspielgeschichten entgehen lassen - egal ob 2000, 2013 oder heute.
Trivia:
- Die Story von Planescape: Torment stammt größtenteils aus der Feder von Chris Avellone, der anschließend jahrelang für Obsidian tätig war.
- Game Director war der deutsche Entwickler Guido Henkel, der zuvor für Attic die Nordlandtrilogie verantwortete (Platz 90 in unserem Ranking).
16. Fallout 2
Entwickler: Black Isle Studios
Publisher: Interplay Entertainment
Erschienen: September 1998
Valentin Aschenbrenner: Da das erste Fallout von 1997 auch heute noch als eines der besten Rollenspiele aller Zeiten gilt (in unserer Liste auf Platz 29), sollte es niemanden verwundern, dass der direkte Nachfolger nochmal alles (fast) genauso macht - nur besser.
Immerhin hievt Fallout 2 so ziemlich jeden Aspekt, der den Vorgänger ausgezeichnet hat, auf die nächste Ebene: die spielerische Freiheit, die taktischen Gefechte, die umfangreichen Individualisierungsmöglichkeiten der Spielfigur und die abwechslungsreiche Open World, die es zu entdecken gibt - diesmal sogar ohne Einschränkung durch ein abstrafendes Zeitlimit.
Anstatt ein Ersatzteil für die Wasseraufbereitungsanlage der eigenen Vault auftreiben zu müssen, führt uns diesmal die Suche nach dem sogenannten »GECK« durch das Ödland des Kaliforniens einer zerbombten Zukunft.
Wie es für Fallout mittlerweile schon fast Tradition ist, war es jedoch nicht unbedingt die Haupthandlung, die den spannendsten Aspekt der Story darstellte. Immerhin gab es an allen Ecken und Enden interessante Nebenquests zu aufzustöbern, die uns lange vor The Witcher 3: Wild Hunt mit Dilemmata im moralischen Grau konfrontierten.
Im Gegensatz zu anderen Rollenspielen sticht Fallout 2 aber vor allem aus der Masse heraus, weil es jeden das Spiel spielen ließ, wie er es nun mal spielen möchte: Schleiche ich auf leisen Sohlen durch das Ödland und stibitze unaufmerksamen Feinden (oder Freunden) all ihr Hab und Gut aus den Hosentaschen? Oder bin ich ein muskelbepackter Schlägertyp, der alles und jeden mit einer saftigen Schelle in blutige Einzelteile zerlegt? Na gut, das sind Aspekte, die in so gut wie jedem Spiel auf dieser Liste zutreffen könnte.
Doch in welchem Titel der 90er konnte man seinen Charakter im wahrsten Sinne des Wortes zu dumm gestalten, um in der Story nennenswerte Fortschritte zu machen? Dieses Prinzip konnte man in Fallout 2 sogar so weit treiben, dass es der eigene Held in Fallout 2 nicht einmal kapiert, wenn er dazu manipuliert wird, sich selbst in die Sklaverei zu verkaufen.
Wer auf die paar schnellen Kronkorken verzichten kann, legt sich dann vielleicht doch lieber eine silberne Zunge zu und labert damit seine Feinde in den Selbstmord. So oder so: Fallout 2 ist nicht nur komplex, sondern vor allem verdammt unterhaltsam und lädt durch die bis heute beeindruckende spielerische Freiheit noch immer zu einem dritten, vierten oder 27. Durchgang ein.
Trivia:
- In der Open World von Fallout 2 kann der Spieler einem Brückenwächter begegnen, der den Ödland-Wanderer drei Fragen stellt. Sollte der Spieler auch nur eine dieser Fragen falsch beantworten, stirbt er. Hoffen wir mal, dass ihr euch ganz sicher seit, was eure Lieblingsfarbe ist. Ansonsten solltet ihr euch vielleicht mal wieder Monty Pythons »Die Ritter der Kokosnuss« anschmeißen.
- Der Charakter Cassidy, der übrigens zu eurem Begleiter werden kann, verrät im Spiel, dass er von seinem Vater nach dessen Liebling-Comicfigur benannt wurde. Konkret handelt es sich hierbei um eine Hommage an den Vampir Cassidy aus »Preacher« von Garth Enis und Steve Dillon – der Comic wurde 2016 von Amazon als TV-Serie adaptiert. Beide Cassidys fluchen vergleichbar viel und gerne.
NEU
15. Cyberpunk 2077
Entwickler: CD Projekt Red
Publisher: Bandai Namco
Erschienen: Dezember 2020
Natalie Schermann: Die Jahre nach dem Release von Cyberpunk 2077 waren für CD Projekt Red alles andere als einfach. Unspielbare Last-Gen-Versionen und der verbuggte Start überschatteten nicht nur das grandiose Story-Rollenspiel, sondern setzten den Entwicklern auch noch psychisch zu - denn plötzlich mussten sie sich massivster Kritik und sogar Morddrohungen stellen.
Drei Jahre später ist Cyberpunk 2077 dank konstanten Updates und Patches endlich da, wo es schon zum Release hätte sein können. Die gröbsten technischen Probleme wurden beseitigt, Update 2.0 krempelte das Rollenspiel nochmal komplett um und mit dem frisch erschienenen Addon Phantom Liberty können die Stärken des Spiels nun noch mehr glänzen - und das kommt auch in der Community gut an. Die Entwickler haben es geschafft, die Stimmung unter den Spielern zu kippen.
Endlich kann Cyberpunk 2077 allen so richtig zeigen, was da drin steckt. Mit keiner anderen Open World habe ich mich in den letzten Jahren so intensiv beschäftigt wie mit Night City - und ich bekomme einfach nicht genug davon.
CP2077 ist ein Story-Fest für alle, die clevere, tiefgründige und bewegende Geschichten lieben. Denen realistische Beziehungen zu Charakteren wichtig sind und die vielfältige Persönlichkeiten statt Abziehbildchen zu schätzen wissen.
Night City ist keine klassische Sandbox-Open-World, aber das muss sie auch gar nicht sein. Sie ist eine Kulisse, eine Bühne für ein erzählerisches Meisterwerk, das mich immer wieder aufs Neue durch einen emotionalen Fleischwolf jagt. Und dieses Feuerwerk an Gefühlen und Eindrücken feiern und würdigen wir mit unserem Platz 15 der besten Rollenspiele überhaupt.
Trivia:
- Die meisten Quests in Cyberpunk 2077 sind nach berühmten Liedern von Rock-Bands benannt.
- In Cyberpunk 2077 stecken unzählige Easter Eggs und Geheimnisse. So viele, dass einige davon laut Entwicklern noch immer nicht gefunden wurden.
14. Divinity Original Sin 2
Entwickler: Larian Studios
Publisher: Larian Studios
Erschienen: September 2017
Robin Rüther: Sie haben meine Katze getötet. Mit einem Pfeil durchbohrt. Ich habe sie am Strand getroffen, sie folgte mir auf Schritt und Tritt und hat niemandem etwas zuleide getan. Und trotzdem wurde sie von einer Wache erschossen - nur weil sie an ihr vorbeigelaufen ist.
Dieser eine Moment hat mehr Emotionen in mir geweckt als so manche komplette Story in anderen Spielen. Und von diesen Momenten hat Divinity: Original Sin 2 mehr als genug. Das beginnt schon bei der Einleitung: Es geht nicht um den Kampf Gut gegen Böse, nicht gegen ein alles überschattendes Übel. Es geht um mich!
Als Sourcerer, eine Art Magier, werde ich meiner Kräfte beraubt, nach Fort Joy verschleppt und dort gefangen gehalten. Überall herrscht Ungerechtigkeit und ich stecke mitten drin. Selten war ich so schnell von einem Rollenspiel gefesselt, so schnell involviert und begeistert.
Nun steht Original Sin 2 aber nicht auf dem 14. Platz der besten Rollenspiele, nur weil es eine persönliche Story und eine Katze hat. Das Spiel will viel, scheitert aber nicht an seinen Ambitionen: Die Welt steckt voller Überraschungen, die Dialoge sind hervorragend vertont und der Umfang ist enorm - allein die Hauptstory hält euch über 50 Stunden bei der Stange, erzählt eine erwachsene Geschichte, lockert sie aber auch regelmäßig mit lustigen Einschüben auf (Redet unbedingt mit den Eulen!).
Und dann erst das Kampfsystem: Ich habe stundenlang kombiniert und ausprobiert, Element um Element kombiniert und dabei vielleicht das eine oder andere Mal aus Versehen meine Party ins Jenseits befördert. Divinity: Original Sin 2 ist ein Spiel, das mir diese Freiheiten ermöglicht, das mich experimentieren und Erfolge feiern lässt.
Das gilt auch fürs Progressionssystem: Ich erschaffe einen gestaltwandelnden Assassinen-Hybriden, einen nekromantischen Beschwörer, einen Feuer schleudernden Bogenschützen. Und das alles kann ich nicht nur alleine spielen, sondern mit bis zu drei Freunden im Koop.
Bei so hohen Zielen hätte Divinity: Original Sin 2 schnell ein halbfertiger Griff ins Klo werden können. Stattdessen ist Larian ein Rollenspiel-Meisterwerk gelungen.
Trivia:
- Divinity: Original Sin 2 hat nach zwei Monaten die Millionenmarke geknackt. Dabei hatte Larian nur mit 500.000 verkauften Exemplaren in den knapp vier Monaten bis Weihnachten gerechnet.
13. Vampire: The Masquerade - Bloodlines
Entwickler: Troika Games
Publisher: Activision
Erschienen: November 2004
Peter Bathge: Jeder kennt wohl inzwischen die Geschichte mit dem Malkavianer und dem Straßenschild. Oder die Sache mit dem Spukhaus. Also schnell mal im Gedächtnis gewühlt und eine andere Anekdotenschublade aufgezogen!
Ich habe Bloodlines erst Jahre nach Release gespielt - und im Rückblick hätte ich das auch jedem noch so begeisterten Fan empfohlen, der es damals nicht abwarten konnte und sofort losspielen musste. Falls ihr euch damals auch durch die ungepatchte Originalversion gekrampft habt und mit Bugs zugeschüttet wurdet, habt ihr mein aufrichtiges Mitleid, ihr armen, armen Menschen!
Außerdem wollte ich diese Gelegenheit nutzen, um mich bei euch zu bedanken. Denn ohne solch Hardcore-Fans wie euch, die ihr euch nicht vom erschreckenden technischen Zustand dieses Meisterwerks habt abschrecken lassen, wäre Vampire: The Masquerade - Bloodlines wohl schnell wieder in der Versenkung verschwunden - zusammen mit dem Pleite gegangenen Entwickler Troika Games.
Und dann hätten es wohl nie diese sagenhafte Post-Launch-Unterstützung aus der Community gegeben, wären nie die zahlreichen inoffiziellen Fan-Patches erschienen. Die sind aber absolut essentiell, damit Quests reibungslos ablaufen und NPCs sich so verhalten wie beabsichtigt.
Ohne diese kostenlosen Updates hätte ich Bloodlines wohl nie gespielt. Und damit ein Meisterstück in Sachen Atmosphäre, Wiederspielwert und Entscheidungsfreiheit verpasst, das Deus Ex der Vampirspiele. Gut, dass 2024 tatsächlich doch noch ein Nachfolger erscheint. Aber den dürfen die Entwickler diesmal gerne selber patchen - oder gar, welch unglaublicher Gedanke, von vornherein in einer spielbaren Fassung veröffentlichen.
Trivia:
- Der Creative Director von Bloodlines, Leonard Boyarsky, arbeitet mittlerweile bei Obsidian Entertainment. Hauptautor Brian Mitsoda arbeitete derweil ursprünglich an der Story von Bloodlines 2, wurde aber zusammen mit dem Entwicklerteam von Publisher Paradox vom Projekt abgezogen.
12. Deus Ex
Entwickler: Ion Storm
Publisher: Eidos Interactive
Erschienen: August 2000
Elena Schulz: Deus Ex ist der Grund, warum ich Videospiele liebe. Ich habe auch vorher schon gezockt und hatte auch viel Spaß mit Pokémon oder The Sims. Aber Deus Ex hat mich damals erkennen lassen, was Spiele sein können, wie viel spielerische Freiheit in ihnen stecken kann und wie viele unglaubliche Geschichten.
Seinerzeit hatte mich ein Freund damit genervt, dass ich es unbedingt ausprobieren muss. Ich habe irgendwann nachgegeben und bin dann gar nicht mehr von Deus Ex losgekommen. Ich habe es immer wieder gespielt, über nichts anderes mehr geredet und mit dem (irgendwann selbst genervten) Kumpel zusammen sogar den Multiplayer gezockt, der gar nicht mal so viel hergab. Aber ich wollte eben mehr von Deus Ex!
Was mich an Deus Ex am meisten faszinierte, war das Cyberpunk-Setting. Diese Unterkategorie der Science-Fiction lernte ich damals erst richtig bewusst kennen. Statt um Raumschiffe dreht sich Cyberpunk um die nahe Zukunft: Meist beherrschen machthungrige Konzerne die Städte und stellen Menschen mit Drogen ruhig. Es gibt Hacker, den alles durchdringenden Cyberspace und Implantate, die mich stärker oder schneller machen. Dabei steht über allem immer die Frage im Raum, was Menschlichkeit überhaupt ausmacht.
All das taucht so oder so ähnlich in Deus Ex auf, verwoben mit einer riesigen Verschwörung und einer coolen Agentengeschichte. Ich spiele im Jahr 2050 den ahnungslosen UNATCO-Agenten JC Denton, der eigentlich nur Terroristen jagen will, weil das sein Job ist. Doch plötzlich gerät er bei einem geheimen Krieg mächtiger Organisationen zwischen die Fronten und muss alles in Frage stellen, woran er geglaubt hat. Aus Freunden werden Feinde und meine Gegner plötzlich Verbündete.
Aber welchen Weg und welche Seite ich wähle, muss ich letztlich selbst entscheiden. Deus Ex bietet mir nicht nur im Rahmen der Geschichte Entscheidungen mit weitreichenden Folgen, sondern lässt sie mich auch spielerisch treffen.
Ich kann meinen JC zur brutalen Killermaschine augmentieren oder lautlos und nicht tödlich vorgehen. Deus Ex ging nie irgendwelche Kompromisse ein oder machte mir etwas vor. Egal, wie lange ich suchen musste oder wie verkopft und abgedreht die Alternative war, es gab immer einen anderen Weg.
Weil ich das wusste, habe ich mir Zeit für die einzelnen Level genommen, alles erkundet und mit allen geredet. Deshalb ist mir Deus Ex bis heute wahnsinnig detailliert in Erinnerung geblieben, obwohl mein letzter Durchgang viele Jahre zurückliegt.
Aktuellere Spiele geben mir oft nur zwei Möglichkeiten: Ich schleiche oder ich kämpfe. In Deus Ex war aber jede Situation ein Rätsel für sich. Durch all meine Augmentierungen wie kurzzeitige Unsichtbarkeit, übermenschliche Stärke, hohe Sprünge oder Hacking und dann auch noch tödliche oder nicht-tödliche Wege, Auseinandersetzungen zu klären, entstanden unglaubliche Kombinationsmöglichkeiten, die sich oft völlig abwegig anfühlten, aber funktionierten.
Deus Ex war damit fast schon eine Sandbox, die aber zusätzlich noch denkwürdige Charaktere bot und eine Geschichte, die mir bis heute als eine der besten Spiele-Storys aller Zeiten im Gedächtnis geblieben ist.
Trivia:
- Deus Ex: Revision ist ein Mod-Projekt, das Deus Ex nicht nur optisch verbessert hat, sondern auch Leveldesign und mehr überarbeitet und modernisiert hat.
- Bei der GameStar-Liste mit dem 300 besten Spielen aller Zeiten landete Deus Ex ebenfalls auf einem stolzen Platz 20.
11. Baldur's Gate
Entwickler: BioWare
Publisher: Interplay
Erschienen: Februar 1999
Heiko Klinge: Ich liebe Rollenspiele, seit ich lesen kann. Aber jahrelang war es wie verhext: Dutzende RPGs habe ich begonnen, je nach Alter mal mehr mal weniger gut verstanden, fast immer auch zig Stunden gespielt, aber kein einziges wirklich beendet. Früher oder später bin ich gegen eine Mauer des Widerstands gestoßen, die ich nicht durchbrechen konnte oder wollte.
Weil mein Englisch noch nicht gut genug war (Ultima 6), weil ich mich ständig verlief und ich keinen Bock auf Karten-Mitzeichnen hatte (Eye of the Beholder), weil ich versehentlich einen wichtigen Quest-Gegenstand verkaufte und nicht mehr wusste wo (Das Schwarze Auge: Schicksalsklinge), oder weil ich ganz profan immer nur auf die Mütze bekam (Wizardry 7).
Einzige Ausnahme war der ebenso fantastische wie zugängliche Dungeon Crawler Lands of Lore auf Platz 129. Und klar, für leichte Action-RPG-Kost wie Diablo hat's auch noch gereicht, aber eben nie für ein tiefes Rollenspiel, in das ich mich monatelang reingraben konnte.
Und dann hielt ich plötzlich die neueste Ausgabe meiner Lieblingszeitschrift GameStar in den Händen und erblickte auf dem Cover doch tatsächlich … ein richtiges Rollenspiel! »Das prächtige Mega-Rollenspiel vereint komplexe Spielwelt und simple Bedienung« stand da. Wow!
Dafür brach ich sogar meine goldene Regel, die GameStar von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen und sprang direkt auf Seite 56 zur Titelstory. Wie wunderwunderwunderschön die Bilder aussahen! Wie faszinierend sich der Text von Jörg Langer las! Dieses Baldur's Gate musste ich sofort beim Importhändler meines Vertrauens bestellen.
Warum ich so viel von meiner Vorfreude erzähle? Weil ich so viel Hoffnung in das erste Rollenspiel des mir noch völlig unbekannten Studios Bioware setzte, dass ich eigentlich nur enttäuscht werden konnte. Und es eigentlich alles über Baldur's Gate sagt, dass es selbst die immens hohen Erwartungen eines seit Jahren immer wieder aufs Neue enttäuschten Rollenspiel-Nerds mit spielerischer Leichtigkeit erfüllen konnte - im wahrsten Sinne des Wortes.
Wie fantastisch es aussah! Wie pointiert die kleinen und großen Geschichten erzählt wurden! Wie spannend sich die pausierbaren Echtzeitkämpfe spielten! Wie unfassbar schnell mir Gefährten wie Minsc oder Imoen ans Herz wuchsen! Und vor allem: Wie wunderbar komfortabel und flüssig sich das alles spielen ließ!
Endlich keine Mauern des Widerstands mehr, ich konnte meine Abenteuer an der Schwertküste nicht nur von der ersten bis zur letzten Spielsekunde genießen, sondern auch seit Jahren mal wieder ein Rollenspiel-Epos mit einem richtig guten Gefühl abschließen. Vielleicht war ich als Genre-Fan all die Jahre einfach nicht hardcore genug. Vielleicht hat es aber auch ein Spiel wie Baldur's Gate gebraucht, um zu beweisen, dass RPGs nicht hardcore sein müssen, um Genre-Fans zu begeistern.
Trivia:
- Einige Sprecher der deutschen Version hatten einen deutlich hörbaren sächsischen Akzent. Damals ein Atmosphäre-Killer, heute ein hörenswertes Kuriosum.
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