Nightmare Reaper ist Retro. Das ist kaum zu übersehen, auch wenn das leistungsstarke Technikgerüst der Unreal Engine 4 im Hintergrund vor sich hin tuckert. Trotzdem sollten auch Action-Fans darüber hinwegsehen, die nicht in den 90ern mit Shooter-Meilensteinen wie Doom aufgewachsen sind.
Denn wenn man zu einem bombastischen und rifflastigen Metal-Soundtrack mit 80 verschiedenen Waffen widerliche Höllenkreaturen zu roten Pixeln zerspratzen lässt und dabei einen Mordsspaß hat, wie wichtig ist am Ende des Tages noch die Grafik?
Die kann man schließlich auch ohne Nostalgiebrille gekonnt ignorieren, wenn das Gameplay stimmt. Das beweisen nicht nur Dauerbrenner wie Minecraft, sondern auch immer mehr Retro-Shooter, die ganz ohne Hochglanz-Optik Traumbewertungen auf Steam einfahren. Wie etwa Project Warlock den geschätzten Kollegen Philipp Elsner um den Finger wickelte, verriet er in diesem kurzen Video-Interview:
Party like it's 1993
Bei euren ersten Gehversuchen in Nightmare Reaper werdet ihr bestimmt einige Male vom straffen Schwierigkeitsgrad, der sich auch nicht ändern lässt, in die harsche Realität eures Patientenzimmers zurückgeschick (hierzu gleich mehr).
Durchhalten lohnt sich aber, denn hat man erst mal die flache Lernkurve und zunächst eintönig-düsteren Höhlenkorridore nach etwa einer Stunde hinter sich gelassen, eröffnet sich ein Action- und Gitarrengewitter, das man nicht so schnell vergisst.
Der Soundtrack stammt aus der Feder des talentierten Metal-Komponisten Andrew Hulshult, der schon an der musikalischen Untermalung zahlreicher Shooter beteiligt war. Seine Spielfreude und brutalste instrumentale Präzision sicherten ihm zuletzt einen Platz im Produktionsteam von Doom Eternal.
Mit feinstem Geschredder im Ohr und dem Zeigefinger im Anschlag wütet ihr durch Außen- wie Innenareale, zündet Sprengfässchen, durchlöchert Bosse und fangt das Level vergnügt an zufälliger Stelle von vorne an, wenn es euch doch mal erwischt. Dank einer praktischen Automap verlauft ihr euch dabei nicht.
Zwei der jeweils etwa 7-10 Stunden umfassenden Kapitel gab es bereits im Early-Access zu spielen. Den vollen Release läutet nun das brandneue dritte Kapitel ein. Komplettiert wird das Paket mit zusätzlichen Spielmodi wie New Game+ und Endlosspiel sowie diversen Herausforderungslevels.
Sogar hinter Wasserfällen versteckte Schätze gibt es und warum die mitunter nerven können, wenn die Jagd nach ihnen zur regelrechten Zwangsstörung wird, erzählt Peter Bathge unserem Podcast-Chef Michael Graf in dieser Folge von GameStar TV:
Eine flog übers Kuckucksnest
Aber erst mal zurück auf Anfang: Ihr gehört in die Klapse. Also eure Protagonistin in Nightmare Reaper zumindest, denn genau da beginnt das Spiel auch. Scheinbar wurdet ihr schon mehrfach als besonders schwerer Fall überwiesen, aber euer derzeitiger Arzt, der seine Notizen am liebsten in eurer Zelle ablegt, freut sich auf die Herausforderung.
Als Spieler freut man sich aber vor allem auf die Nächte, denn sobald ihr euch schlafen legt, beginnen die namensgebenden Albträume und somit der Spaß. Ohne weitere Erklärung oder nennenswerte Story entlässt euch das Spiel in eine Höhle voller tödlicher Skelette, Zombies und anderem Gekröse.
Im Gegensatz zum Arsenal der dreißig Jahre alten Vorbilder sind die bis zu 80 abwechslungsreichen Schnetzelwerkzeuge zufällig in Kisten oder Gegnern verteilt und werden mittels 30 möglicher Verzauberungen weiter ausdifferenziert, sprich: Hier wird das moderne Loot-Shooter-Prinzip mit dem Spielgefühl von früher verheiratet.
Mut zur Abwechslung
Neben konventionellen Schieß- und Schneideisen kämpft ihr mit fast allem, was man sich vorstellen kann. Sägeblattwerfer? Fast schon banal gegen Feuerpeitsche, Säurespuckender Totenschädel, zielsuchende Parasiten und einem Zauberfallenwürfel, der Gegner erst einsaugt und dann bei Bedarf als Verbündete wieder ausspuckt.
Je nach Seltenheitsgrad verändern mehr zufällige Modifikatoren die Funktion eurer Waffen. Die reguläre Minigun war schon heftig, doch als uns der zufällig auftauchende weiße Geister-Trenchcoat ein günstiges Upgrade versprach, wurde daraus eine legendäre Wumme, die Gegner auch noch einfriert und zurückwirft.
Habt ihr das Ausgangsportal gefunden, dessen Position sich wegen der teils manuellen, teils zufälligen Levelgenerierung auch gerne mal ändern kann, dürft ihr eine Waffe ins nächste Level mitnehmen. Zu starke Helferlein werden allerdings ausgegraut, um die Balance nicht zu gefährden. Immerhin bescherte uns die Minigun zum Abschied noch 16.000 Goldmünzen, denn sämtlicher Überschuss wird automatisch verkauft.
Gierig wie Super Mario
Diese Münzen braucht ihr für die zahlreichen Charakter-Upgrades, die ihr euch zulegen könnt, sobald ihr im zweiten Level euer erstes Cartridge eingesammelt habt. Diese Rollenspiel-Elemente tun, was sie am besten können: Sie motivieren euch dazu, auch den letzten Gegner und versteckten Geheimraum zu finden.
Letztere verbergen sich gerne hinter rissigen Wänden, doch auch am Ende von Schalterrätseln und Jumping-Puzzles wartet fette Beute. Wechselt ihr mit ausreichend Knete in den Talentbaum, erwartet euch nicht irgendeine langweilige Fähigkeitentabelle, sondern ein an Super Mario angelegtes Minispiel.
Dort navigiert ihr eure verstörte Heldin über bunte Mariowelten und kauft euch Upgrades wie zusätzliche Munition, Waffenslots oder Trefferpunkte, um so den Weg zur nächsten Welt freizuschaufeln. Ab der Zweiten lässt sich auch euer Bewegungsrepertoire um einen Ausweichsprung (Dash) erweitern. Zu ausgelassenen Nebenpfaden könnt ihr jederzeit zurückkehren.
Anstatt einer kleinen Warnung im Stile von »Willst du dieses Talent wirklich freischalten?« müsst ihr durch kurze und teils knackige 2D-Sidescroller-Levels hüpfen, in denen jede eingesammelte Münze ihren Wert am Ende vervielfacht und so den eigentlichen Kaufpreis schmälert. Auch die regulären Shooter-Passagen locken mit Bonusmünzen, wenn euch der Abschlussbildschirm besondere Gründlichkeit bescheinigt.
Für wen ist Nightmare Reaper interessant?
Das Spiel dürfte für alle Action-Fans bekömmlich sein, die schon immer mehr Wert auf spielerische als optische »Wow«-Momente gelegt haben. Von ersterem gibt es nämlich so einige, insbesondere wegen dem ungewöhnlich breiten Waffenarsenal und den vielen auflockernden Zufallselementen.
Wer allerdings über die Optik so gar nicht hinwegsehen kann und sich fragt, wie viel realistischer Spiele in Zukunft wohl aussehen werden, für den könnte diese Technikdemonstration der Unity Engine interessant sein:
Bei Nightmare Reaper greift der typische Loot-Shooter-Sog trotz oder gerade wegen des sanften Resets nach jedem Level und der wie ein eigenes Videospiel aufgebaute Talentbaum steigert die Motivation zusätzlich, »noch schnell eine Runde mehr« zu spielen.
Zum Zeitpunkt dieses Artikels bescheinigten 95 % der 1.029 bewertenden Steam-Spieler der Early-Access-Version von Nightmare Reaper allererste Gameplay- und Soundtrack-Güte. Nun, da es diese Phase nach fast drei Jahren verlassen hat, gibt es für Interessierte kaum noch Ausreden, nicht selbst den Geheimnissen der Albtraumwelten und der weiteren Patientengeschichte der Heldin auf den Grund zu gehen.
Erhältlich ist die Vollversion ab dem 28. März 2022 sowohl auf Steam als auch auf GOG.
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