Es ist schon verrückt. Seit Jahren rühmt sich jedes neue Call of Duty damit, härter, lauter, explosiver als der Vorgänger zu sein. In Modern Warfare 3 krachen Häuserfronten ineinander, WW2 spannt uns vor einen entgleisenden Zug, Black Ops 4 wirft uns ins Battle-Royale-Chaos. Pure Michael-Bay-Zerstörung mit so hohem Body Count, dass John Woo neidisch würde.
Doch 2019 bewirbt sich plötzlich ein neues Call of Duty mit dem genauen Gegenteil: In der zweistündigen Gameplay-Präsentation von Entwickler Infinity Ward wird weniger geballert und getötet als bei jeder anderen Call-of-Duty-Enthüllung zuvor. Das ist jedoch nicht der Hauptgrund, warum Fans über das neue Modern Warfare wahrscheinlich kontrovers diskutieren werden.
Oh, und natürlich wird auch manch einer über die Tatsache stolpern, dass wir es hier mit einem Reboot zu tun haben. Call of Duty: Modern Warfare ist schließlich eigentlich der vierte Teil einer Serie, die lustigerweise mit Call of Duty 4 (!): Modern Warfare vor über zehn Jahren begann. Aber weil nach dem Ende des letzten Teils sowieso alles in Schutt und Asche lag, fängt man jetzt halt von vorne an, um sich an modernerer Kriegsführung zu orientieren als noch 2007.
Doch viel kontroverser als jede Reboot-Debatte sind die Szenen, die wir statt der üblichen Krachbumm-Ballereien zu sehen bekommen. Bombenattentate am Londoner Piccadilly Circus, Terrorzellen in Vorstadt-Wohnhäusern, Gasangriffe auf Kinder, russische Spezialeinheiten, die in zivile Menschenmengen schießen.
Das Gameplay der Entwickler bereitet Unbehagen, sorgt beim Zusehen für ein flaues Gefühl im Magen, will provozieren. Nicht zuletzt deshalb wird Call of Duty 2019 mit seiner Kampagne in jedem Fall ein viel diskutiertes Thema werden.
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Captain Price ist zurück
Doch kontroverse Neuerungen hin oder her - im ersten Schritt hat Call of Duty: Modern Warfare auf dem Papier viel mit dem Original gemein. Erneut steht die Welt am Abgrund, wird von einem abtrünnigen russischen General und einer nahöstlichen Terrormiliz bedroht. Wir verkörpern abwechselnd britische und amerikanische Spezialeinheiten, kämpfen an der Seite des ikonischen Captain Price und nutzen jedes moderne Kriegsmittel, um mit unserem Spec-Ops-Team zu obsiegen.
Wer ist Captain Price?
Captain Price ist die wahrscheinlich bekannteste Figur des ganzen Call-of-Duty-Universum. Was viele nicht wissen: Seinen ersten Auftritt hatte der Militär-Captain bereits im allerersten Call of Duty 2003. Auch in Call of Duty 2 trat er auf. Wirklich berühmt hingegen seine Neuinterpretation als Captain John Price in der Modern-Warfare-Trilogie. Neben Spielfigur John »Soap« MacTavish ist er der einzige Charakter, der in allen drei Modern-Warfare-Teilen auftaucht.
Und um es ganz deutlich zu betonen: Ja, Call of Duty: Modern Warfare bietet wieder eine waschechte Kampagne. Darauf liegt sogar der Schwerpunkt der Gameplay-Präsentation von Infinity Ward. Dass es Koop- und Multiplayer-Modi geben wird, deuten die Entwickler indes nur an. Was wir aber wissen: Freischaltungen und Waffen gelten für alle Bereiche des Spiels, also Single- wie Multiplayer. In Koop und Multiplayer gibt's außerdem einen umfangreichen Charaktereditor, euer Avatar gilt für alle Modi, ihr wählt Geschlecht, Hautfarbe, Outfit und derlei Dinge.
Die Art der Bewaffnung orientiert sich dabei durch die Bank an realen Vorbildern. Statt Sci-Fi-Knarren bedient ihr zeitgenössische Sturmgewehre, Schrotflinten, SMGs und so weiter. Akrobatische Wandrennereien und Doppelsprünge gibt's ja bereits seit ein paar Jahren nicht mehr, das bleibt auch in Modern Warfare so.
Stattdessen bekommen wir einige coole neue Spec-Ops-Manöver: Waffen können wir jetzt am Türrahmen anlegen, um rückstoßfrei um Ecken zu lehnen. Türen lassen sich leise oder schnell öffnen, Lichter ausschießen - und die KI soll auf unterschiedliche Lichtverhältnisse adäquat reagieren.
Was für ein Spiel wird Modern Warfare?
Ob die Gegner sich tatsächlich smarter verhalten und die Missionen taktischer spielen, können wir derzeit allerdings noch nicht einschätzen. Infinity Ward ließ uns bloß gucken, nicht anfassen. Unsere erste Prognose: Trotz der kleinen Taktik-Tweaks wird Call of Duty: Modern Warfare spielmechanisch kein Rad in Gänze neu erfinden. Die Kampagne bleibt ein linearer Shooter, das Waffengefühl zwar wuchtig, im Kern jedoch auf gefällige Action getrimmt.
Aber alles andere an diesem 2019er Call of Duty wirkt anders. So bekommt die altgediente Engine endlich ein spürbares Upgrade. Das neue Modern Warfare sieht noch eine Schippe besser aus als WW2. Dank Photogrammetrie gleicht kein Stein im Nahen Osten dem anderen, weil die Entwickler in der echten Welt Strukturen gescannt und ins Spiel übertragen haben.
Was ist Photogrammetrie?
Um die Grafik-Assets von Modern Warfare zu gestalten, flogen die Entwickler um die ganze Welt und fotografierten real existierende Gegenstände und Strukturen. Aus genügend Fotos desselben Objekts können Programme ein 3D-Modell entwerfen. So erreicht man seit Jahren unheimlich detaillierte Landschaften. Beispielsweise brannte einem Bekannten der Entwickler das Auto durch einen Waldbrand ab - daraus entwarf man Fahrzeugwracks für den Nahen Osten.
Die PC-Fassung profitiert von Raytracing, Partikeleffekte wie Staub und Rauch schweben glaubhaft durch die Landschaft, während Dutzende Zivilisten ihre gefallenen Kameraden durch die Straßen einer zerbombten Nahost-Siedlung zerren. Modern Warfare simuliert sogar nicht-sichtbare Lichtspektren wie Infrarot, um Nachtsicht- und Wärmebild-Aufnahmen möglichst realistisch erscheinen zu lassen. Auch das Sounddesign bemüht sich um diese Detailgenauigkeit. Wenn wir in einen Tunnel feuern, entwickeln sich die Geräusche hörbar anders als auf offener Straße.
Die Entwickler sprechen von Fotorealismus. Ganz so weit würden wir nicht gehen, gerade im Gefecht lassen Textur- und Animationsdetails dann doch hier und dort alte CoD-Krankheiten durchscheinen. Aber trotzdem trifft die neue, deutlich verbesserte Optik zumindest in der Alpha-Präsentation voll ins Schwarze.
Denn Grafik-Opulenz ist in Call of Duty: Modern Warfare weit mehr als Augenwischerei. Sie dient einem Zweck. Sie will das Kriegsgeschehen so glaubhaft wirken lassen wie in manch einem Dokumentarfilm. Und das gelingt zumindest in der Präsentation ganz gut. Mit beklemmenden Folgen.
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London brennt
Die erste Szene, die Infinity Ward uns zeigt, ist ein Bombenanschlag in London. Aus Sicht eines Polizeibeamten fliegt der Piccadilly Circus in die Luft, Zivilisten rennen schreiend um ihr Leben. Doch die Präsentation verweilt nicht bei der Explosion wie frühere Serienteile, sondern springt nach wenigen Sekunden in die eigentliche Mission: Der Terroranschlag wurde in einem kleinen Reihenhaus mitten in London geplant. Unsere Spezialeinheit soll die Terroristen unschädlich machen.
Die Mission startet mitten in der Nacht, in den Londoner Gassen überprüfen wir ein letztes Mal unsere Waffen. Modern Warfare bedient natürlich ganz gezielt Spec-Ops-Fantasien - wer ein Faible für Rainbow Six und Tom Clancy hegt, Navy-Seals-Dokumentationen verfolgt und sich eine Fortsetzung von Sicario oder Six wünscht, bekommt hier die gesamte Faszination des Modern-Military-Szenarios auf dem Silberteller serviert.
Statt wie früher die Eingangstür des Terroristen-Verstecks einfach in die Luft zu sprengen, knacken wir das Schloss leise, schleichen uns durch den ersten Flur. Wir knipsen mit schnellen Schüssen die Lichter aus, aktivieren Nachtsicht, es entbrennt ein Feuergefecht, das sich unheimlich intensiv anfühlt. Denn das Spiel schickt uns eben nicht Welle für Welle an Bots in die Schusslinie, sondern fährt drastisch zurück. Jeder einzelne Abschuss soll sich wuchtiger anfühlen, Klasse trumpft Masse.
Im gesamten Gebäude verschanzen sich vielleicht zwölf Terroristen. Und jeder reagiert unterschiedlich auf uns. Die ersten drei Gegner wirken völlig überrascht, weil plötzlich die Lichter erlischen. Lediglich einer schafft es, zur Waffe zu greifen, geht jedoch gurgelnd zu Boden.
Im nächsten Raum versteckt sich ein Feind unter dem Bett, ein weiterer verschanzt sich auf dem Klo und schießt blind durch die Tür. Die Wand zersplittert durch die Kugeln, unser Kollege wirft schnell eine Granate durchs Loch. Klar, dünne Wände sind noch immer nicht so zerstörbar wie in Battlefield, aber deutlich mehr als in früheren Serienteilen.
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